Aus einem Bauteil eines alten Computers wird ein Makro-Objektiv
Eine winzige Glasscheibe aus einem CD oder DVD Laufwerk macht das iPhone zur leistungsstarken Makro-Kamera
Während der Ausgangsbeschränkungen der letzten Wochen arbeitete das gesamte ProCamera Team von zuhause aus. Teammitglied Nicolai Boenig nutzte diese Zeit für ein spannendes Do-It-Yourself-Projekt im Garten. Dabei konnte er einen alten Laptop aussortieren und gleichzeitig ein aufregendes neues Genre der Mobilfotografie kennenlernen.
F: Wieso befindet sich eine Makro-Linse innerhalb eines gewöhnlichen CD/DVD-Laufwerks?
A: Inmitten eines CD/DVD-Laufwerks befindet sich ein beweglichen Bauteil, welches Daten von der sich drehenden Scheibe liest. Der Laser des Lesekopfes wird u.a. fokussiert mit Hilfe einer winzigen Linse. Diese Linse ist glücklicherweise in etwa so groß wie die Objektive aktueller iPhone Modelle. Wenn man die dünne Glasscheibe vor die iPhone Kamera hält, ist man plötzlich in der Lage auf Objekte zu fokussieren, die nur wenige Millimeter entfernt sind.
F: Wie bist Du an die kleine Vergrößerungslinse herangekommen?
A: Da es sich bei dem Laptop um ein altes, nicht mehr funktionsfähiges Modell handelte, musste ich nicht allzu vorsichtig sein beim Auseinandernehmen. Das Herausdrehen einer hohen Anzahl scheinbar immer kleiner werdender Schrauben machte den Großteil der Arbeit aus. Zuerst entfernte ich das äußere Gehäuse des Laptops, dann baute ich das Laufwerk als Ganzes aus, und zum Schluss nahm ich den Lesekopf auseinander.
F: Wie bist Du anschließend vorgegangen?
A: Schritt für Schritt stieß ich im Innern des Laufwerks auf verschiedenste Glas-Bauteile in unterschiedlichen Größen und Formen. Das Größte der runden Gläser war schließlich das richtige für die Kamera meines iPhone 11.
F: Wie hast Du die kleine Linse am iPhone befestigt?
A: Dafür sind einige Lösungen denkbar – vom einfachen Klebestreifen bis hin zu Modellierknete. Am Ende entschied ich mich dann aber doch für eine Art „MacGyver“-Weg: Das Glas habe ich in eine gewöhnliche Haarklammer geklemmt und diesen Pin einfach auf die Rückseite des iPhones geklebt. Dieser Ansatz hat zum einen den Vorteil, dass keinerlei Klebestreifen unterhalb oder oberhalb der Linse verlaufen müssen, wodurch sich die Abbildungsleistung verschlechtern würde (Klebestreifen haben bei genauer Betrachtung eine gewisse Struktur); zum anderen kann ich den angeklebten Pin jederzeit schnell abnehmen, um ein normales Nicht-Makro-Foto aufzunehmen.
Letztendlich ist es am wichtigsten, eine Lösung zu finden, die die Makro-Linse sicher und fest fixiert, denn Millimeterbruchteile sind bei der Ausrichtung vor der iPhone Kamera bereits entscheidend. Außerdem sollte man genau darauf achten, dass die verbauten Objektive des iPhones nicht beschädigt werden.
F: Gibt es etwas zu beachten beim Fotografieren mit dem extremen Makro-Objektiv?
A: Für mich war es definitiv eine ganz neue Erfahrung, die allerdings sehr viel Spaß gemacht hat!
- Zuerst muss man sich an den unheimlich geringen Abstand zum Motiv gewöhnen. In den meisten Fällen berührten meine Finger auf der Rückseite des iPhones beim Auslösen das zu fotografierende Objekt. Dieser fingerbreite Sicherheitsabstand hilft gleichzeitig auch, die Objektive beim Fotografieren nicht anzustoßen, zu verkratzen oder mit Blütenstaub zu verkleben.
Um einen Eindruck über Vergrößerungsfaktor und Bildwinkel zu geben, ist im Anschluss ein Foto des ProCamera Logos abgebildet. Das schwarzweiße Logo, das hier auf der Webseite in der oberen Menüleiste klein angezeigt wird, ist von meinem Computerbildschirm abfotografiert. Durch die enorme Vergrößerung wird erkennbar, dass die weißen Pixel der Grafik am Bildschirm tatsächlich aus kleinen Streifen der Elementarfarben Rot, Grün und Blau (RGB) zusammengesetzt sind.
- Da man bis auf wenige Millimeter an das Motiv herangehen muss, damit sich ein scharfes Bild ergibt, ist Schattenwurf stets ein Thema. Das iPhone und/oder die Hände werfen in vielen Fällen einen harten Schatten. Daher ist es am besten, in einer sehr hellen Umgebung zu fotografieren, wo genügend weiches Streulicht vorhanden ist, welches für eine gleichmäßige Beleuchtung sorgt. Wenn möglich ist ein Schattenwurf über das gesamte Bild einer teilweisen Abschattung vorzuziehen, denn ungleiche Beleuchtung ist im Nachhinein nur sehr schwer zu korrigieren. Auch eine Aufhellung über externe Lichtquellen oder Spiegel ist denkbar, allerdings ist man in diesem Fall normalweise auf die Beleuchtung aus dem Hintergrund des Motivs begrenzt (zwischen Kamera und Motiv liegen nur wenige Millimeter).
- Der herausforderndste Aspekt ist allerdings das Fokussieren in Zusammenspiel mit der extrem geringen Schärfentiefe. Hinzu kommt, dass viele der zierlichen Makro-Motive selten ganz still verharren – filigrane Blüten bewegen sich selbst beim geringsten Windstoß, und winzige Insekten scheinen pausenlos herumzukrabbeln. Also ist man ständig in Bewegung mit dem iPhone und umkreist das Motiv.
Die punktuelle Schärfe wird den Blick den Betrachters des späteren Bildes unweigerlich lenken. Daher ist es wichtig, nicht nur irgendeinen Teil des Bildes scharf darzustellen, sondern den Fokus auf interessante Stellen zu setzen (leichter gesagt als getan…), wie z.B. die Augen eines Insekts oder die Staubbeutel in einer Blüte.
F: Hast Du weitere Tipps für’s Fokussieren?
A: Neben einer ruhigen Hand und einer Menge Geduld ist der manuelle Fokus in ProCamera eine große Hilfe. Gewöhnlich stelle ich den Fokus vor der Makro-Aufnahme auf eine bestimmte Distanz ein und fokussiere anschließend über das Bewegen des iPhones. Außerdem ist die Abbildungsleistung der Makro-Linse in der Mitte deutlich besser, daher sollte man den Schärfepunkt nicht all zu weit an den Rand setzen. Das ProCamera Bildschirmfoto zeigt, dass man über die Lupe des manuellen Fokus bereits vor dem Auslösen gut sehen kann, ob die Schärfe an der gewünschten Stelle sitzt.
Man merkt außerdem sehr schnell, dass viele Motive einfach zu groß sind und man schlicht nicht genug davon abbilden bzw. fokussieren kann.
F: War das Projekt im Nachhinein betrachtet interessant für Dich?
A: Absolut! Dank dieser winzigen Glasscheibe konnte ich einige große Überraschungen erleben beim Erkunden der Miniaturwelt um uns herum. Mitunter kann die Fotografie ein kostspieliges Unterfangen sein, doch für dieses Projekt fand ich alles, was ich dafür benötigte, direkt bei mir zuhause!
Nicolai, vielen Dank, dass Du Deine Tipps und Bilder mit uns geteilt hast. Um mehr von seiner Fotografie zu sehen, folgt man ihm am besten auf Instagram unter @nicolaiboenig.