Für diesen Gastbeitrag haben wir den bildenden Künstler und Kunsterzieher Lance Hewison eingeladen, um mit ihm über kreative Mobilfotografie und Inspiration im Alltag zu sprechen:
Auch als Fotograf ist es natürlich nicht immer einfach, beeindruckende und einzigartige Aufnahmen zu machen. Normalerweise sticht nur etwa eines aus hundert Bildern sofort aus der Masse heraus – und für mich persönlich ist das noch großzügig geschätzt…
Vor kurzem machte ich einen Ausflug in den Süden Deutschlands nach Heidelberg. Es war ein schöner, sonnig-milder Nachmittag im Januar. Mit einem Kaffee in der Hand schlenderte ich durch die Gassen und bewunderte die schöne Architektur und den besonderen Charme der Altstadt. Mein iPhone habe ich stets griffbereit, und so entschloss ich mich, mit Hilfe der App ProCamera einige Aufnahmen zu machen. So entstanden viele Fotos der bekannten Sehenswürdigkeiten. Doch obwohl die Details, die Schärfe und die generelle Aufnahmequalität dieser Bilder von Kirchen und historischen Plätzen mich vollauf zufrieden stellten, waren sie doch vorhersehbar, austauschbar und etwas inhaltslos. Ich hatte das Gefühl, dass jeder der Passanten neben mir die gleichen Fotos hätte machen können.
Die Alte Brücke ist eines der beliebtesten Touristenziele der Stadt, von wo aus täglich hunderte Besucher die wunderschöne Aussicht auf das Schloss und den Neckar genießen. Allein an diesem Nachmittag kurz vor Sonnenuntergang standen mindestens ein Dutzend Besucher entlang des Brückengeländers. Manche in Gruppen, manche alleine, und die meisten davon machten Selfies mit ausgestreckten Armen. Andere hatten sich mit ihren großen DSLR-Kameras und schweren Stativen in Stellung gebracht und bemühten sich sichtlich um den bestmöglichen Bildaufbau zwischen Fluss, Stadt und den sanften Hügeln im Hintergrund.
Als ich auf der Suche nach Inspiration die Brücke auf und ab ging, interessierte ich mich zunehmend für die Touristen und den Umstand, dass sie zu nahezu jeder Tageszeit integraler Bestandteil dieses Ortes sind. Trotzdem wollte ich beim Fotografieren nicht in die Privatsphäre der mir unbekannten Personen eindringen. Andererseits wollte ich sie auch nicht nach einem Foto fragen, denn ab diesem Zeitpunkt kann man für gewöhnlich keine völlig natürlichen Reaktionen und Emotionen mehr einfangen. Entweder erhält man ein gezwungenes Lächeln – oder einen finsteren Blick, falls derjenige auf keinen Fall fotografiert werden möchte. Durch reinen Zufall fielen mir ein paar winzige quadratische Spiegelstücke auf, die an einen der Laternenmasten auf der Brücke geklebt worden waren. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, wie die kleinen Spiegelchen dort hingekommen sind, war aber sofort fasziniert von den dadurch ermöglichten Perspektiven.
Aus purer Neugierde ging ich mit meiner iPhone-Kamera sehr nahe an eine der Spiegelscheiben heran. Im Automatik-Modus fokussierte die Kamera auf das nächstgelegene Objekt, den Spiegel selbst. Die Spiegelungen der Personen und der Umgebung im Hintergrund waren dadurch allerdings nicht fokussiert. Da ich es aber genau andersherum wollte, zog ich das kleine blaue Fokus-Rechteck auf eine Stelle im Spiegelbild. Dadurch verschwand der Umriss des Spiegels in der Unschärfe und mein eigentliches Motiv, die Menschen auf der Brücke, konnten scharf abgebildet werden. Bei warmer, tief stehender Nachmittagssonne und einem klaren Himmel erhielt ich sofort eine schöne Belichtung und ich passte die Helligkeit nur minimal per Wischgeste auf der EV-Skala ein. Durch Antippen des +/- Icons in der oberen Leiste wird die Skala zur Belichtungskorrektur ein- bzw. ausgeblendet. Die dunkle Farbe des Laternenmasts half mir beim Bildaufbau und fungierte bei einigen Aufnahmen als optischer Rahmen um mein jeweiliges Motiv. Die Wirkung der Farben und Formen in der Unschärfe, die das Gesamtbild zu einer Art Collage machten, wurde mir erst so richtig beim Fotografieren bewusst. Ohne einen Einblick in den speziellen Aufnahmeprozess wäre wohl kaum ein Betrachter der Bilder auf die sonderbaren kleinen Spiegel am Laternenmast gekommen. Ich mag diese Ungewissheit in einem Foto, wenn nicht sofort klar ist, was sich im Bild alles abspielt.
In einem nahegelegenen Café begann ich anschließend damit, meine Favoriten aus der Serie auszuwählen sowie Bilder zu löschen, bei denen ich mir sicher war, dass ich sie auch später nicht verwenden würde. Im Aufnahmen-Ordner in ProCamera konnte ich nach Aktivieren der Mehrfachauswahl gleich ganze Reihen an Fotos per Wischgeste auswählen und löschen. Im nächsten Schritt beschnitt ich die übrig gebliebenen Fotos, um den Bildaufbau individuell zu verfeinern und damit den Blick des Betrachters auf die interessantesten Elemente der Szene zu lenken. Beim Bearbeiten eines Fotos in ProCamera bleibt die Originalaufnahme stets erhalten, und es wird eine separate Datei mit den jeweiligen Änderungen gespeichert. Daher musste ich mir keine Gedanken darüber machen, ob ich zu einem späteren Zeitpunkt womöglich eine andere Art der Bearbeitung oder des Zuschnitts wählen möchte – ich kann jederzeit zur unangetasteten Originalaufnahme zurückkehren und eine neue Variante erstellen. Zur Bearbeitung der Serie wählte ich ProCameras „Kurven“-Werkzeug, um den Gesamtkontrast der einzelnen Bilder weiter zu steigern. Persönlich bevorzuge ich starke Kontraste mit tiefen, dunklen Schatten in meinen Bildern.
Als abschließenden Bearbeitungsschritt nutzte ich das „Farbtemperatur“-Werkzeug, um die Szene in etwas wärmere Farben zu tauchen, da der strahlend-blaue Himmel bereits für genügend kalte Töne sorgt. Ich genieße den Komfort, Aufnahmen zu erstellen, zu editieren und zu teilen ohne dazu an ein anderes Gerät oder in andere Anwendungen wechseln zu müssen.
Manchmal werde ich gefragt, wo ich meine Inspiration finde. Anstatt nach etwas Spezifischem zu suchen, versuche ich mir Zeit zu nehmen, um meine Umgebung bewusst wahrzunehmen. So kann man ganz natürlich Inspiration finden. Sie kommt einfach zu einem.
Hin und wieder nehme ich mir auch die Zeit ältere Aufnahmen durchzusehen und mich zu fragen, ob mich diese Aufnahmen in irgendeiner Weise berühren. Falls dies nicht der Fall ist, lösche ich sie – ganz nach dem Credo „weniger ist mehr“. Qualität ist mir wichtiger als die Quantität der Aufnahmen.
Das Unerwartete ist flüchtig und nicht immer leicht zu finden. Aber wenn ich die Umgebung mit Zeit und Ruhe wirklich auf mich wirken lasse, dann findet sich häufig ein kleines Detail oder eine bestimmte Perspektive, die dem Ganzen einen stärkeren künstlerischen Ausdruck verleiht. In meinen Augen ist es besser, 10 interessante Aufnahmen gemacht zu haben, auch wenn diese mitunter etwas ungewöhnlich sind, als mit 100 austauschbaren Fotos nach Hause zu gehen, die aussehen wie die ersten Ergebnisse einer Google-Suche. Ein gutes Bild ist natürlich nicht alleine abhängig vom Überraschungsmoment, aber es ist definitiv eine gute Zutat, um einem Bild das gewisse Etwas und eine persönliche Note zu verleihen.